Riesenräder, Karusselle, Achterbahnen, die einem auf Volksfesten begegnen, heißen in der Amtssprache „Fliegende Bauten“. Benutzt werden dürfen sie nur, wenn die Sicherheit geprüft ist. Bevor der Spaß beginnen kann, begutachten daher Experten vom TÜV ihre Sicherheit und Standfestigkeit. Damit soll der sichere Betrieb gewährleistet sein. Geregelt ist das alles in einer eigenen DIN, der DIN EN 13814. Soweit die Theorie.

Foto: Homepage Beuth-Verlag

Herbstfest-Sonntag, ich schlendere über den Rummelplatz. An der Reitschule: Besorgte Omas und Opas, Mütter und Väter stehen oder knieen neben Feuerwehrwagen, Pferden oder Polizeiauto, ängstlich auf die Kleinen bedacht (und auf sich selbst ;-).

Foto: deacademic.com

Zwanzig Meter weiter: Jugendliche aller Alters- und vor allem auch Gewichts-Klassen stürmen den „Jumper“, auch ein Opa mit einem Sechsjährigen und ein paar Mittelalte. Der Jumper – das ist eine schräggestellte Zentrifuge. Gurte oder Schutzbügel? Fehlanzeige! Die Kräfte der schnell drehenden Scheibe pressen die kreischenden Mitfahrenden gegen Geländer und Lehne, drücken sie in die harte, kaum gepolsterte Bank.

Fahren ohne Gurt: Normalerweise 30 Euro

Dann aber werden die Umdrehungen langsamer, fast bis zum Stillstand, um plötzlich mit wilden Bockbewegungen dem Namen „Jumper“ alle Ehre zu machen. Nur, dass nicht die Maschine jumpt, so richtig ins Jumpen kommen nur die Menschlein, die für diese Art der Körperverletzung auch noch freiwillig Geld hingelegt haben. Und Körperverletzung ist das, was der Jumper da etlichen zufügt.

Hip Hop Jumper - Stummer (Offride) Norden Pfingstmarkt ...
Foto: Youtube – Hip Hop Jumper – Stummer

Der Opa wird nebst Enkel immer wieder hochgeschleudert, der ganze Körper, auch die Beine, nur die Hände halten sich noch an der Stange. Wie eine Puppe fliegt er, hoch und wieder runter, um dann mit dem Kreuz jedes Mal hart auf der noch härteren Bankkante aufzuschlagen. Gottseidank ist der Abstand zwischen seinen Armen und den Eck-Stäben so gering, dass der Enkel nicht hindurchpasst. Nur deshalb wird der nicht auch noch zum Spielball der Fliehkraft.

Andere haben weniger Glück. Sie schlittern, fallen, rutschen, schlagen auf. Größtenteils unfreiwillig. Das Gekreisch hört sich nicht mehr nur nach Adrenalinschub und Begeisterung an, da ist auch eine ganze Menge Schmerz dabei. Es tut weh, zuzuschauen.

Foto: Youtube – Hip Hop Jumper – Stummer

Vorbei! Der Opa hält sich mühevoll aufrecht, „Haltung bewahren“ ist erkennbar seine Devise. Er schaut weder links noch rechts. Ich möchte nicht mit ihm tauschen und seine blauen Flecken haben.

Die nächste Runde. Der Einpeitscher verheißt den nächsten ultimativen Spaß. Die Musik wird lauter, bumbumbum! Im Nu ist das Rund besetzt. Es geht los. Die ersten Fliehkraft-Runden, der Jumper fängt das Hüpfen an, hoch, höher, links, links, rechts, unvorhersehbar, so fest können sich die meisten gar nicht halten, dass sie nicht zum haltlosen Spielball werden.

Foto: Youtube – Hip Hop Jumper – Stummer

Eine junge Frau fliegt durch die Luft, frei in die Mitte, rutscht irgendwohin, ist nicht mehr zu sehen. Ihre Freundin springt auf, gestikuliert in Richtung Kassenhäuschen, der Jumper wird langsamer. Die Freundin will helfen, balanciert zum Rand. Der Einpeitscher interpretiert das falsch, meint es sei alles in Ordnung, gibt wieder Gas.

Foto: Hip Hop Jumper – Stummer (Offride)

Erneutes panisches, wildes Gestikulieren der Freundin, Wut, weil ihre Zeichen falsch gedeutet werden. Dann hat er´s endlich kapiert, der Jumper kommt zum Stehen. Die Freundin und Andere versuchen, die junge Frau hochzuheben, sie kann sich nur unter großen Schmerzen selbst bewegen, hängt gekrümmt zwischen den Helfern*innen. Auf der immer noch schräg stehenden glatten Fläche arbeitet sich die kleine Gruppe zum Ausgang durch, sie legen die junge Frau auf den Boden.

Der Einpeitscher versucht, wieder Spaß aufkommen zu lassen, den „kleinen Zwischenfall“ vergessen zu machen, er brüllt sich richtig in Fahrt, der Jumper beschleunigt wieder, alles kreischt.

Foto: Facebook DRK-ROK

Später höre ich von Sanitätern, dass die Anzahl der Einsätze wegen Verletzungen gerade bei diesem, aber auch anderen Fahrgeschäften seit Jahren stark gestiegen sei und inzwischen die Anzahl der Einsätze wegen der sonst bei Volksfesten üblichen Vorkommnisse signifikant übersteigt. Man habe das Ordnungsamt informiert, aber dort könne man nichts machen, der TÜV habe alles ordnungsgemäß abgenommen. Es muss wohl, wie so oft, erst mal „richtig“ was passieren.

Wer sich auf youtube ein paar Jumper-Filmchen anschaut, stellt aber auch schnell fest, dass der Machinist der Fahrmaschine einen großen Anteil an dem Geschehen auf der Scheibe hat. Bescheidene Frage: Gibt es auch eine DIN, in der die Qualifikation des Maschinisten festgeschrieben ist?

Im nächsten Jahr spendiere ich jedenfalls den Prüfer*innen vom TÜV ein, zwei Fahrten auf dem Jumper. Sollen sie mal selbst eine Runde „jumpen“, vielleicht fällt ihr Urteil ja dann doch anders aus.

Versprochen! Ihr Peter Gläser